Einleitung
Es wird oft von „Gewalt gegen Kinder“ gesprochen.
Und zumeist wird solche Gewalt mit bestimmten Personen assoziiert, denen
vorgeworfen wird, unmittelbar gewalttätig zu sein. Gewiss mag es auch solche
Fälle geben! Hiergegen wurden bestimmte Maßnahmen ersonnen, von denen
wesentliche benannt werden soll: der im BGB verankerte § 1631 Abs. 2 untersagt jedwede Gewalt gegen
„Kinder“. Soweit so gut, könnte nun angenommen werden! Leider gibt es
allerdings neben der „unmittelbaren Gewalt“, die sowohl physisch-körperlich wie
seelisch-psychisch sein kann, auch eine viel subtilere Gewalt, die als „strukturell“
bezeichnet werden kann – insbesondere dann, wenn ihre Urheber und Akteure die
staatlichen Behörden sind. Hier gilt es der Klarheit wegen drei unterschiedliche
Quellen der vom Staat ausgehenden strukturellen Gewalt zu unterscheiden:
- im
Zusammenhang mit Schulgesetzgebung;
- im
Zusammenhang mit Jugendämtern;
- im
Zusammenhang mit der Justiz.
Während die erste Gewalt („Schulanwesenheitszwang“)
hinlänglich bekannt ist, hier also keiner weiteren Erörterung bedarf, soll für
die zweite darauf hingewiesen werden, in welcher Weise sich diese Gewalt
verbirgt: Auf Grund gewisser Ereignisse („Kevin“ u.a.) gab es Änderungen in der
Gesetzgebung (z.B. im Sozialgesetzbuch VIII) und die Jugendämter bekamen offensichtlich
Weisung von oben, strenger gegen „Kindeswohlgefährdung“ vorzugehen – zugleich
wurde „Schulverweigerung“ als eben kindeswohlgefährdend angesehen. Letzteres
verdreht Ursachen und Wirkungen: Nun sollen Jugendämter sich nicht etwa der
Aufgabe verpflichtet sehen, die legitimen Rechte von jungen Menschen zu
schützen, vor allem dort, wo diese gefährdet scheinen, sondern sie verhalten
sich objektiv „kindeswohlgefährdend“. Stellen wir uns vor, ein junger Mensch
würde – aus welchen Gründen auch immer – sich der Schule verweigern und nun
dadurch kriminalisiert und psychiatrisiert, weil Jugendämter sich nicht dem
Menschen, sondern Normen und normativen Gesetzen verpflichtet fühlten ... Statt
nach Ursachen der Verweigerung zu forschen und mögliche Lösungen zu eruieren,
werden betroffene junge Menschen und ihre Familien (familien-)gerichtlich
verfolgt: bis zum Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts oder des Sorgerechts.
Die strukturelle Gewalt von Seiten der Justiz soll
hier nicht etwa dokumentiert werden anhand einiger derzeit laufender Verfahren,
dies wäre auch für die Betroffenen zu gefährlich. Um einen Rechtsanwalt
sinngemäß zu zitieren: Der Kampf um die Rechte der jungen Menschen ist ein
Kampf gegen „Betonköpfe“ in der Justiz! Wie wahr dies ist, wird sich erweisen …
Ein Bild der strukturellen Gewalt soll hier anhand
zweier Briefwechsel gezeichnet werden, deren Veröffentlichung vielleicht auch
als Einladung an die Leserschaft zu verstehen sei, konkrete Vorschläge zu
unterbreiten, in welcher Weise sinnvoll mit solch struktureller Gewalt
umgegangen werden könne. Selbstverständlich soll diese „Korrespondenz“ durch
andere ergänzt werden, indem weitere eigene Erlebnisse dokumentiert und
eingebracht werden. Sinn dieses Anliegens ist die Erfahrung: Information kann
so manches Leid reduzieren oder vermeiden, indem originelle andere, kreative
Energien aktiviert werden!
1.
Es begann Ende letzten Jahres mit einem Brief von
Matthias Kern, Mitbegründer der Freilerner-Solidargemeinschaft
e.V., an einen Rechtsanwalt und ehemaligen Familienrichter. Die Anregung,
speziell diesem Mann zu schreiben, entstand u.a. beim Lesen seiner
Internetpräsenz, in welcher er beschreibt, er engagiere sich „besonders dafür, dass Eltern und Kinder gemeinsam
aufwachsen können“, und betont, dass eine Trennung von Eltern und Kindern nur
dann zulässig sei, „wenn es gar kein anderes Mittel gibt“. Ich danke Matthias
Kern für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung!
24.
November 2013
Fälle von Missachtung der Rechte junger Menschen
und des Kindeswohls durch Amtsträger, z.B. im Jugendamt – Erkundung der
Möglichkeiten einer Handhabe
Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt und ehem. Familienrichter,
wir erfahren immer wieder von Fällen, in denen junge Menschen
zwangsweise Maßnahmen unterworfen werden, die unserer Auffassung nach die
Rechte der jungen Menschen verletzen und nicht ihrem Wohl dienen, sondern ihnen
im Gegenteil schaden – und dies gerade durch Amtsträger in Schulen,
Schulbehörden, Jugendämtern und Gerichten, deren Aufgabe es eigentlich ist, dem
Wohl und den Rechten der jungen Menschen oberste Priorität einzuräumen.
Wir möchten diese jungen Menschen gerne unterstützen und begleiten –
fühlen uns aber oft hilflos, weil wir keine Möglichkeiten erkennen können, den
handelnden Amtsträgern Einhalt zu gebieten und sie in ihre Schranken zu weisen.
Hierfür erlauben wir uns, Sie um Ihre Unterstützung – zunächst in Form
juristischer Informationen – zu bitten. Aufgrund der Ausführungen auf Ihrem
Internet-Auftritt hoffen wir, dass Sie unser Anliegen verstehen können.
Vorweg einige Informationen über die Freilerner-Solidargemeinschaft:
Unter den jungen Menschen, die als schulpflichtig kategorisiert werden, gibt es
immer wieder welche, die nicht auf die in der Schule vorgegebene Weise lernen
wollen, sondern sich individuell selbstbestimmt bilden möchten – und sich
deswegen dem Schulbesuch verweigern. Andere haben in der Schule Gewalt durch
Mitschüler oder Lehrer erfahren oder miterlebt oder sonstige sehr unangenehme
Erfahrungen gemacht und sind deswegen nicht bereit, weiter zur Schule zu gehen.
Dass sich diese jungen Menschen für eine Art der Bildung (außerhalb von
Schule) entscheiden, ist unserer Auffassung nach völlig verständlich und
gerechtfertigt. Von Seiten des Staates wird dies jedoch nicht akzeptiert. Von
den Behörden wird in der Regel kompromisslos versucht, einen Schulbesuch zu
erzwingen, unabhängig davon, ob dies im konkreten Fall dem Wohl der Betroffenen
dient oder ob dadurch die Rechte der Betroffenen verletzt werden. Die jungen
Menschen und ihre Erziehungsberechtigten werden massiv unter Druck gesetzt,
nicht selten werden die jungen Menschen (teilweise auch die Eltern) für krank
bzw. gestört erklärt. Teilweise werden sie zwangspsychiatrisiert und/oder von
ihren Eltern getrennt.
Nachdem sich schon seit vielen Jahren Betroffene und Sympathisanten in
Form einer Initiative regelmäßig treffen, sind wir im vergangenen Jahr einen
Schritt weiter gegangen und haben einen eingetragenen Verein – die
„Freilerner-Solidargemeinschaft e.V.“ – zur Unterstützung dieser jungen
Menschen („Freilerner“) und ihrer Eltern gegründet.
Wenn wir – was nicht selten vorkommt – erleben, dass von Seiten der
Amtsträger Entscheidungen getroffen werden, die nach unserer Auffassung nicht
dem Wohl der betroffenen jungen Menschen dienen und deren Grundrechte
verletzen, stellt sich für uns immer wieder die Frage, was wir – als
gewissermaßen unbeteiligte Dritte – denn tun könnten, um dem Einhalt zu
gebieten.
Natürlich können wir Briefe an die beteiligen Behörden schreiben oder
eine Dienstaufsichtsbeschwerde einreichen – aber damit wird wohl eher der Bock
zum Gärtner gemacht.
Nun also unsere Frage an Sie:
Gibt es nach Ihrer Kenntnis Möglichkeiten, als Außenstehender ein formales
Verfahren z.B. gegen das Jugendamt bzw. einen seiner Mitarbeiter einzuleiten,
wenn der Verdacht besteht, dass Amtshandlungen dem Kindeswohl schaden oder die
Rechte der Betroffenen verletzen?
Wäre es z.B. möglich, bei der Staatsanwaltschaft oder der Polizei z.B. eine
Anzeige wegen Körperverletzung oder Freiheitsberaubung zu erstatten, die dann
von Amts wegen verfolgt werden müsste?
Kann – insbesondere von Außenstehenden – eine Beschwerde oder Anzeige
wegen Gefährdung des Kindeswohls (z.B. gegen das Jugendamt) bei einer anderen
Stelle als dem Jugendamt selbst eingereicht werden?
Oder gäbe es noch ganz andere Möglichkeiten?
Darüber hinaus wäre wichtig zu wissen, wie sich ein betroffener junger
Mensch dagegen wehren kann, dass seine eigenen Entscheidungen und Erfahrungen
ignoriert werden und „über seinen Kopf hinweg“ entschieden wird. Wie kann er
deutlich machen, dass seine Entscheidung wohl überlegt und begründet ist und er
selbst weder gestört noch krank ist? Wie kann er sich gegen eine zwangsweise
Therapie und „Fremdunterbringung“ wehren?
Über eine Antwort
würden wir uns sehr freuen.
Mit freundlichen Grüßen
Matthias Kern
Im Namen und Auftrag der Freilerner-Solidargemeinschaft e.V.
***
Als ich diesen Brief zum ersten Mal las, war ich angetan von der
Klarheit dieser Worte und der deutlichen Darlegung des Anliegens ... ob dies
nur mir so ging?
Drei Tage später folgte die Antwort:
27. November 2013
Sehr geehrter Herr Kern,
Ihr Anliegen missbillige ich in höchstem Maße. Als Familienrichter habe
ich ohne jedes Zögern Schulverweigerern das Sorgerecht teilweise entzogen, um
einen geregelten Schulbesuch sicherzustellen.
Mir sind Probleme mit Schulen bestens bekannt, dennoch kann niemand
seine Kinder alleine erziehen! Den Kindern fehlt das Gemeinschaftserleben. Die
Rechte der Kinder werden durch die verweigernden Eltern schwer
missachtet!! Zwangsweise Therapie ist übrigens nach der Rechtsprechung
des BVerfG nur im Falle einer Unterbringung nach den Unterbringungsgesetzen der
Länder möglich. Ein Familienrichter kann keine Therapie anordnen.Ich bitte Sie,
mich nicht mehr zu kontaktieren.
Mit freundlichen
Grüßen
..., Rechtsanwalt, Familienrichter a.D.
***
Hatte der Adressat
das Schreiben wirklich gelesen? Kann es sich hier um ein Missverständnis
handeln? Könnte er das Anliegen beim oberflächlichen Lesen anhand weniger
Stichworte in eine Ecke gesteckt haben, in die es gar nicht gehört? Oder sieht
er junge Menschen schlichtweg als nicht entscheidungsfähig an und betrachtet
die Vorstellung eines "selbstbestimmten Minderjährigen" als
irrsinnig?
Wie kommt es, dass die Kompetenz eines jungen Menschen, die auch darin
besteht, dass er "Nein" sagt zu einer Sache, angezweifelt wird –
nein: dass seine Kompetenz gar nicht zur Debatte steht? Denn: wieso redet denn
der angesprochene Anwalt hier von verweigernden Eltern, wo Matthias Kern doch
eindeutig von sich der Schule verweigernden jungen Menschen spricht? Dürfen sie
etwa keine eigene Meinung haben, keinen eigenen Willen? Wird ihnen etwa
abgesprochen, dass sie wissen, was gut oder nicht gut für sie ist? Wie kommt
es, dass in Bezug auf die Frage der Schule gar nicht die Idee aufkommt, die
Kinder/Jugendlichen wahr- und ernstzunehmen, insbesondere in ihrer Äußerung und
ihrem Recht „nein“ zu sagen?
Hier die Reaktion zweier Menschen, denen ich dies zeigte:
"Ich sitze mit weit geöffnetem Mund, sprachlos und erschüttert vor
diesem Schreiben! Denn sie wissen nicht, was sie tun!"
"Beim Lesen des Briefes dachte ich auch, wie gut geschrieben ich
ihn fand! Und beim Lesen der Antwort nur "Ach Du meine Güte...!" mit
einem gedanklichen Kopfschütteln.
Ich fragte mich, ob er den Brief wirklich aufmerksam gelesen und versucht hat,
zu verstehen, worum es da geht, oder ob er nur grob drübergeschaut und es in
seine Schublade 'Schulverweigerer' gesteckt hat. So etwas ist doch wirklich
einfach nur traurig ..."
2.
Ich erfuhr von einem weiteren Schriftwechsel.
Einst lief auf einigen Fernsehkanälen eine Dokumentation über eine
wahrlich gewaltvolle „Inobhutnahme“ eines Jungen durch die jugendamtlichen
Behörden; dort wird ein ehemaliger Familienrichter und jetziger Anwalt
interviewt, der sehr klar und deutlich sich gegen solche wahrlich verheerenden
und unmenschlichen Maßnahmen ausspricht. Dies veranlasste den Philosophen Bertrand Stern sich per
E-Mail mit diesem ehemaligen Richter in Verbindung zu setzen. Den ersten
Kontakt nahm er auf am „Internationalen Tag der Menschenrechte“ und wie es
weiterging wird im Folgenden zu lesen sein.
10. Dezember 2013
Sehr geehrter Herr ...,
vor kurzem wurde ich auf zwei
Aufzeichnungen von Fernsehsendungen hingewiesen, in denen Sie mitgewirkt haben;
hierbei hat mich die – aus meiner Sicht und Erfahrung wohl seltene – Klarheit
Ihrer Aussagen so begeistert, daß ich mir gedacht habe: Mit einem Mann, der
sich hinsichtlich der zwischengenerationellen Beziehungen von all dem Üblichen
und Üblen so wohlweislich abhebt und für menschliche Positionen eintritt,
möchte ich ins konstruktive Gespräch treten. Nachdem Sie nun weit über NRW
hinaus bekannt sind, hoffe ich, daß Sie es mir nicht verübeln, wenn ich mich
nun ohne weitere Empfehlung an Sie wende und Sie auf diese Weise anspreche. Daß
dies am heutigen „Internationalen Tag der Menschenrechte“ erfolgt, scheint mir
ein gutes Omen zu sein für das Ihnen vorgetragene Anliegen.
Vorab: Als
zivilisationskritischer Philosoph widme ich mich seit
über vier Jahrzehnten Fragen, die im Zusammenhang stehen mit dem unbedingten
Respekt vor der Würde und der Selbstbestimmtheit der Person und folglich mit
Überlegungen zum Ausbruch aus den die Menschen bevormundenden, nicht selten sie
entwürdigenden Institutionen. Ein besonderes Augenmerk meiner
Auseinandersetzung gilt dem kritischen Aspekt der demokratischen Gestaltung
eines wohl selbstverständlichen Rechtes, frei sich zu bilden – und von da aus
dem nicht minder wesentlichen Aspekt des Ausbruchs aus dem zivilisatorischen
Vorurteil „Kindheit“. Näheres kann ich Ihnen auf Wunsch gerne mitteilen, so Sie
es mögen.
In den letzten Wochen haben immer
mehr betroffene junge Menschen sich hilfesuchend an mich gewandt, die sozusagen
von „wohlmeinenden Jugendbehörden“ verfolgt werden – ähnlich den Situationen,
die in den o.g. TV-Reportagen vorgestellt wurden; ihr „Vergehen“, gar ihr
„Verbrechen“? Aus je unterschiedlichen Motiven und Situationen heraus sahen sie
sich dazu gezwungen, sich dem vor- und antidemokratischen, nur in Deutschland
bestehenden „Schulanwesenheitszwang“ zu verweigern! Daß ein Leben unter dem
Druck von vielerlei angedrohten unmenschlichen Maßnahmen, die sie und
insbesondere ihre Mutter und ihren Vater treffen, zur Qual wird, braucht gewiß
nicht betont zu werden! Ihnen gegenüber brauche ich sicherlich nicht
hervorzuheben, worin wir uns gewiß einig sind: Daß die – wohlgemerkt: zum
angeblichen Wohl von jungen Menschen und zur Abwendung einer nur postulierten,
nicht belegten und nicht bestehenden „Kindeswohlgefährdung“! – angedrohten oder
getroffenen Maßnahmen wie der Entzug des Sorgerechts, des
Aufenthaltsbestimmungsrechts bis hin zur Heimeinweisung oder Psychiatrie usw.
ebenso sinnlos wie gesetzes- und verfassungswidrig sind! Erhebt sich allerdings
nicht folgerichtig die Frage nach den Möglichkeiten der Abwehr? Danach
erkundigen sich viele der betroffenen jungen Menschen, die bei mir verzweifelt
um Rat ersuchen.
Da ich aus Erfahrung weiß, welche
Mißverständnisse sich hier einschleichen können, lege ich Wert auf die
Präzisierung: Mir geht es absolut nicht darum, der staatlichen Gewalt in
Gestalt der Schule eine „Ersatz-Gewalt“ in Gestalt der Familie und ihrer
häuslichen Beschulung gegenüberzusetzen. Genau wie Ihnen geht es mir gewiß
nicht um höherwertige Elternrechte und nicht um das Vorrecht von Müttern und
Vätern, ihre Kinder abseits von anderen Menschen alleine zu erziehen; nicht um
die Entmündigung von Minderjährigen und nicht um das Vorrecht auf häusliche
Beschulung... Oder, wenn ich mir gestatten darf, dies juristisch auszudrücken:
Die sich hier stellende Frage ist nicht jene eines von einigen Familien künstlich aufgebauschten Widerspruchs
von GG-Art 6 und GG-Art 7; vielmehr geht es um den Gehalt der Grundrechte des
betroffenen (jungen) Menschen selbst als Abwehr von staatlicher Gewalt, etwa in
GG-Art 1 und 2... Deutlicher formuliert: Beruhen Ihre Ausführungen in den o.g.
TV-Reportagen etwa nicht,
ebenso wie meine Position, auf einem Selbstverständnis, das Sie womöglich aus
dem Postulat der Unantastbarkeit der Würde der Person ableiten? Die Frage ist
nun: Läßt sich dieses Selbstverständnis auch konkret anwenden, bevor staatliche
Gewalt in Gestalt etwa von Jugendämtern und ggf. Familiengerichten mit
widersinnigen Maßnahmen eingreifen?
Aus bisherigen Begegnungen mit
Juristen habe ich schlußfolgern dürfen und können, daß diese die von mir
vorgetragene und postulierte Position als wirklich interessant und prospektiv
betrachtet haben... Dies heißt, daß es der praktischen Umsetzung bedarf. Da
immer mehr Menschen sich die widernatürlichen, unmenschlichen Bedingungen der
ihnen zugefügten Gewalt nicht mehr gefallen lassen wollen, darf ich annehmen,
daß ein grundsätzlicher Wandel ohnehin in Bälde eintreffen wird; entscheidend
ist nicht die Frage des „Ob“, sondern nur und einzig jene des „Wann“ und „Wie“!
Ich fände es schön, wenn engagierte Menschen wie Sie sich für einen guten
Wandel einsetzten – so wie auch ich dies seit Jahren tue!
Um solche Fragen, die sowohl
rechtstheoretisch wie praktisch sind, zu besprechen, würde ich sehr gerne mit
Ihnen in einen Dialog treten, selbst wenn ich als Philosoph womöglich nicht die
ebenso juristischen wie prozessualen Kenntnisse habe: Ich hoffe, daß dies Ihr
Interesse findet und Sie mir signalisieren, in welcher Form wir zusammenkommen
könnten. Erlauben Sie mir den Hinweis auf die sicherlich günstige Tatsache, daß
ich selbst auch in NRW lebe, wenn auch am südlichen Ende, aber sozusagen
jederzeit bereit, mich auf den Weg zu machen, um Sie zu einem konstruktiven
Dialog aufzusuchen.
Ich erlaube mir, Sie vorsorglich
auf meinen Internet-Auftritt „www.bertrandstern.com“
hinzuweisen, dem Sie Weiteres über mich, meine Aktivität und meine diversen
Publikationen entnehmen können. Es wäre mir eine Freude, Ihnen auf Wunsch die
eine oder andere Schrift zu überreichen, die Ihr Interesse fände und einen
fruchtbaren Dialog anregen würde. Bis dahin verbleibe ich mit bestem Dank für
Ihre Aufmerksamkeit und Ihre hoffentlich gute Antwort, mit den besten Wünschen
zu Ihrem menschenrechtlichen Engagement und
mit freundlichen
Grüßen
Ihr Bertrand Stern
***
Die Antwort am selben Tag:
Sehr geehrter Herr Stern,
auch ich halte den mangelnden
Schulbesuch für eine grobe Verletzung der elterlichen Sorge und lehne Ihr
Anliegen kategorisch ab.
Mit freundlichen
Grüßen
***
11. Dezember 2013
Sehr geehrter Herr ...,
haben Sie vielen herzlichen Dank
für Ihre ebenso schnelle wie knappe Antwort. Die allerdings wenig mit dem
Inhalt meiner Anfrage zu tun hat. Es mag ja sein, daß Sie "den mangelnden
Schulbesuch für eine grobe Verletzung der elterlichen Sorge" halten; damit
können Sie mir aber nicht sagen, wie Sie als Familienrichter und Anwalt mit
einem jungen Menschen umgehen würde, der sich an Sie wendet, weil er – aus
welchen Gründen auch immer – sich der Schule verweigert! Werden Sie ihn
kriminalisieren? psychiatrisieren? seinen Eltern entziehen und in ein Heim
stecken – wo es ihm etwa besser gehen wird? nackte Gewalt anwenden bzw.
ihn täglich von der Polizei holen und zur Schule bringen lassen? Wollen Sie ihm
ein schulisches Lernpensum so aufdrängen, wie einem Hungerstreikenden eine
Infusion? Werden Sie der Mutter oder dem Vater empfehlen, BGB §1631.2 zum Trotz
nackte Gewalt anzuwenden – auch bei beispielsweise einem 14jährigen Burschen?
Und, vor allem, weshalb dies alles? Nur, damit der deutsche
"Schulanwesenheitszwang", den die Nationalsozialisten 1938 gesetzlich
verankert haben, erhalten bleibt? Sollten Sie gute Gründe dafür haben, mein
"Anliegen kategorisch" abzulehnen, wäre es vielleicht sehr sinnvoll
und nützlich, daß wir uns hierüber austauschen: Vielleicht handelt es sich um
ein Mißverständnis? Womöglich haben Sie emotional etwas vor Augen, das meinem
Ansinnen ganz entfernt ist?
Doch selbst wenn Sie mein
"Anliegen kategorisch" ablehnen, was gewiß Ihr gutes Recht ist, gibt
es bestimmte Prinzipien der freiheitlich demokratischen Grundordnung, die aus
gutem Grunde nicht einfach jemandes subjektiven Empfinden und der emotionalen
Ablehnung anheimgestellt sind. Daher möchte ich Sie bitten, meinen
Brief doch noch mal zu lesen, der nicht nach einer Be- oder Verurteilung
ruft, sondern nach einer konkreten juristischen Aussage: Was kann ich tun, wenn
junge, betroffene Menschen – ob aus Schulverweigerung oder aus anderen Gründen!
– von "wildgewordenen Jugendämtern" bedroht, verfolgt, in ihrer Würde
und Selbstbestimmtheit verletzt werden? Oder, noch deutlicher gesagt: Was
würden SIE tun, wenn ein solcher junger Mensch, womöglich jener, um den es in
der TV-Reportage ging, bei welcher Sie sich so klar und eindeutig geäußert
haben, gerade deshalb entweder vor Ihrer Tür stünde oder
Sie anriefe, damit Sie ihn als Anwalt verteidigen?
Es scheint mir wenig sinnvoll,
sich der Wirklichkeit zu entziehen und so zu tun, als gäbe es das nicht, was
Sie womöglich als verwerflich ablehnen; Tatsache ist, daß Sie angesichts
konkreter, real existierender Notfälle als Jurist die Möglichkeit haben,
Menschen und ihre Rechte zu vertreten und zu verteidigen – oder aber, aus
vorauseilendem Gehorsam, eine normative Vorverurteilung vorzunehmen, die genau
dem Geist unseres Grundgesetzes widerspricht. Da ich mir – auf Grund Ihrer
Aussagen in der TV-Reportage – dies von Ihnen genau NICHT vorstellen kann, erlaube
ich mir erneut, meine Einladung zum Dialog zu erneuern – nicht für mich,
sondern für eine wichtige, prospektive Angelegenheit (zumal selbst unter den
heutigen führenden "Köpfen" der Schulpädagogik inzwischen anerkannt
ist, daß dieser obsoleten Institution Schule keine Chance mehr gegeben ist!)
In der Hoffnung, daß Sie mir
diese klare Stellungnahme verzeihen mögen, freut sich auf Ihre Antwort und
dankt Ihnen für das Verständnis und die Aufmerksamkeit
Ihr Sie freundlich
grüßender
Bertrand Stern
***
Als daraufhin keine Antwort kam, schrieb
Bertrand Stern am 25. Dezember erneut eine E-Mail:
Sehr geehrter Herr ...,
WEIHNACHTEN: Wie könnte ich
dieses "Fest des Friedens, der Liebe, der Kinder" nicht zum Anlaß
nehmen einer kritischen Reflektion über Kinder in unserer Zeit? Bei vielen
Menschen weckt die im Lukas-Evangelium erzählte Geschichte des kleinen Jesus in
der Krippe in Bethlehem viel Rührung, allein wie sieht es aus mit jungen
Menschen mitten unter uns? Gewiß leiden sie nicht unter dem Elend des engen Stalls
– alleine sind sie deshalb glücklich? zufrieden? optimistisch? Wie viele unter
den heute jungen Menschen haben zu leiden unter den ihnen aufgedrängten
Maßnahmen, die wohlgemeint sind weil angeblich dem Wohl dienend, aber dem
wirklichen Wohl und Wollen des jungen Menschen widersprechen? Können, sollen,
müssen solche – im wörtlichen Sinne "kindeswohlgefährdenden" –
Maßnahmen nur deshalb einfach und schweigend hingenommen werden, weil bestimmte
blinde Autoritäten sich unfähig oder unwillig zeigen, andere als solch obsolete
Maßnahmen zu ergreifen?
Daß ich auf meine zweite Mail
keine Antwort von Ihnen erhalten habe, wage ich als positives Zeichen zu
deuten: Sind wir uns darin einig, daß es einer nur gemeinsam möglichen
Anstrengung bedarf, um der strukturellen Gewalt, der normierten und
gefährlichen "Vergewohltätigung" wirksam zu begegnen? Sicherlich
möchten Sie sich – ebenso wie ich! – für eine humanere Lebensform einsetzen:
ein jeder gemäß seinen Möglichkeiten! Läßt sich nicht gerade am Schicksal
der jungen Menschen
ablesen, ob eine Lebensform als human gelten kann? Sollten wir uns darin gewiß
einig sein, wäre dies eine frohe Botschaft zu Weihnachten!
In diesem Sinne darf ich Ihnen
frohe Weihnachten wünschen und, Ihrer sicherlich prospektiven Antwort gerne entgegensehend
und Ihnen hierfür bestens dankend, nun verbleiben
mit freundlichen
Grüßen
Bertrand Stern
***
7 Minuten später kam –
ohne Ansprache und Gruß – diese Antwort:
Ich habe Schulverweigerern immer sofort das Sorgerecht entzogen. Ihr
Anliegen verurteile ich.
3.
Etwas, das von einem TABU belegt ist, ist
unhinterfragbar, unantastbar und für rationale Begründung und Kritik nicht
zugänglich – so heißt es ... das Wesen der strukturellen Gewalt ist, dass die
„Opfer“ meist selbst nicht wahrnehmen, dass sie Gewalt erfahren, weil sie die
ihr zugrundeliegenden Normen internalisiert, verinnerlicht haben. Die „Täter“
anscheinend ebenfalls! Ich denke erneut an die von mir gern zitierten Worte aus
Ekkehard von Braunmühls Buch „Musterkind“: „Natürlich
sind die Kinder die Opfer. Aber sie sind es nur, solange die Täter glauben, sie
täten etwas Gutes, und solange die Opfer glauben, sie müssten es sich gefallen
lassen.“
Und was beobachten wir, wenn die Opfer nicht mehr
glauben, sie müssten sich alles gefallen lassen, sondern vielmehr ihren eigenen
Willen oder Unwillen kundtun? Wer das Märchen "Des Kaisers neue
Kleider" kennt, der stelle sich vor, am Ende, als das Kind plötzlich
ausruft, was alle bisher nicht gewagt haben, der Kaiser habe ja nichts an,
wären alle Leute über es hergefallen: "Sag sowas nie wieder, das ist nicht
wahr!" ... und hätten es seinen Eltern weggenommen mit der Begründung,
diese seien „nicht erziehungsfähig“, und es eingesperrt (und mit Medikamenten
vollgepumpt) ...
Oben angeschriebener Rechtsanwalt und ehemaliger Familienrichter sagt in
einem Interview:
„Das ist aber für jedes Kind und
für jede Familie der absolute Super-GAU. Die Gefährdungssituation wird häufig
nicht sauber herausgearbeitet und es wird nicht überlegt, ob es andere
Möglichkeiten gibt, die Gefährdung abzuwenden, denn die Herausnahme des Kindes
aus Familien ist immer das allerletzte Mittel der Wahl und daran halten sich
viele Jugendämter nicht.“
Und er sagt noch mehr:
„Es gibt keine geordnete Aus- und
Fortbildung für Familienrichter mit Ausnahme von Bayern. Bayern bildet die
Familienrichter aus, wenn auch nur kurz, aber immerhin. Aber sonst wird
Familienrecht nur unwesentlich im Studium gelehrt. In der Referendarzeit kommt
es nicht vor und dann kommt man als Richter zum Landgericht und zum Amtsgericht
und ist auf einmal dann Familienrichter und hat das vierte Buch des
Bürgerlichen Gesetzbuches noch nie bewusst wahrgenommen. Familienrichter müssen
sich selbst fortbilden, ihr eigenes Geld, Kraft und Freizeit da hineinstecken.
Es gibt ja viele ganz hervorragende Familienrichter, aber natürlich auch viele,
die gar nichts machen und alles nur aus dem hohlen Bauch machen. Wenn dann
schwierige Fälle kommen, sagt man, das soll der Gutachter machen und dem
schließ ich mich dann an.
Das hat die Auswirkung,
dass die Entscheidung über Sorgerechtsentzug oder Übertragung des Sorgerechts
auf einen Elternteil dem Gutachter überlassen wird. Der Richter weiß nicht, was
er machen will, dann gibt er es einem Gutachter und dessen Gutachten schreibt
er ab. Punkt. Sie können die Mängel nur dann einschätzen, wenn sie sich vorher
mit dem Thema einmal beschäftigt haben. Aber die meisten beschäftigen sich
nicht damit."
Offensichtlich!!! Bestätigt dies das sogenannte Peter-Prinzip – eine
These von Laurence J. Peter (kanadisch-US-amerikanischer Lehrer, Erziehungs-
und Sozialberater, Schulpsychologe, Gefängnislehrer und Universitätsprofessor!),
die besagt, dass „in einer Hierarchie [...] jeder Beschäftigte dazu [neigt],
bis zu seiner Stufe der Unfähigkeit aufzusteigen“?
Welch absurde und bizarre Vorstellung, ein
Unfähiger solle Entscheidungen treffen über die Fähigkeiten (z.B. zur
Selbstbestimmung) eines anderen; ein gewissermaßen Ungebildeter soll über die
Bildung eines anderen entscheiden …
Ist das strukturelle Gewalt?