Sehr
geehrte Damen und Herren,
der
Artikel in der letzten Ausgabe der WAMS vom 31.01.2016 auf Seite 17
muss bei mir eine Reaktion hervorrufen, welche Sie hoffentlich in
ungekürzter Fassung abdrucken können:
Angst macht Schule? Schule macht Angst!
Unter
der Überschrift „Angst macht Schule“ wird das Phänomen der
Schulvermeidung thematisiert, doch die Autorin kommt – durch die
Befragung nur eines „Experten“ – zu einer fatalen falschen
Schlussfolgerung. Schon die Überschrift hätte lauten müssen
„Schule macht Angst“.
Die Schüler versagen? Die Schule versagt!
Es
werden immer mehr Schüler, die die Schule vermeiden wollen. Auf der
anderen Seite werden es aber auch immer mehr Schüler, die der
Schulanwesenheitspflicht nachgekommen sind und entweder keinen
Abschluss erlangt oder dennoch nicht ausreichend Lesen, Schreiben und
Rechnen gelernt haben – es ist unstrittig, dass mindestens 14,5%
funktionale Analphabeten (das sind 7,5 Millionen Menschen!) unter den
deutschen Erwachsenen zu finden sind. So steigt die Schulvermeidung
vielleicht auch deswegen, weil die Schule offensichtlich immer
schlechter ihren Bildungsauftrag (und auch ihren Anspruch ein
menschenwürdiger Lebens- und Lernort zu sein) erfüllt.
Fachkräfte fehlen? Fachkräfte werden nicht ausgebildet!
Die
Menschen, die es auch unter dem Druck der Schulanwesenheitspflicht
nur geschafft haben, die Schule zu „überstehen“ und dabei
ungebildet zu bleiben, sind anschließend – trotz staatlich
attestierter Eignung – in vielen Ausbildungsberufen nicht mehr zu
tragen oder besser gesagt zu ertragen. Dass selbst Gymnasiasten nicht
mehr die einfachsten Grundrechenarten oder Rechtschreibregeln
beherrschen und daher häufig nicht tauglich sind, auf dem
Arbeitsmarkt unterzukommen, zeigt, dass das Problem wohl eher im
System Schule liegt als im Menschen, der die Schule verweigert.
Der Schulvermeider ist krank? Das System Schule krankt!
Der
Schulvermeider wird in Ihrem Artikel als psychisch krank bezeichnet.
Junge Menschen, die es schaffen gegen ein fest-zementiertes
staatliches System ganz deutlich eine abweichende (nicht tolerierte)
Haltung zu artikulieren und zu zeigen, dass die Schule kein Ort für
sie ist, in dem sie sich wohl fühlen oder nach besten Möglichkeiten
lernen können, werden gebrandmarkt als „krank“, psychisch
problembehaftet, überfordert. Beispiele von vielen erwachsenen
Schulverweigerern und erste Studien über unverschulte Menschen aus
den USA weisen aber in den meisten Fällen auf sehr kreative,
wissbegierige, weltoffene, tolerante Menschen, denen es in unserem
starren deutschen Schul-System an grundlegenden (auch
wissenschaftlich geforderten) Bedingungen fehlen würde.
Schulvermeider? Bildungs-Einforderer!
Diese
in Ihrem Artikel als psychisch krank gebrandmarkten Schulvermeider
sollten also viel eher als weiterdenkende Menschen gesehen werden,
die viel Potential für eine Gesellschaft und ihr eigenes Fortkommen
mitbringen. Diesem sollten wir entweder durch Schulen, die endlich
ihr starres System überdenken und zu lebenswerten Lernorten werden,
gerecht werden; oder dadurch, dass der Staat endlich versteht, dass
durch Zwang niemand zu einem mündigen Bürger gemacht werden kann
und der deshalb endlich für reichhaltige, vielfältige
Bildungsangebote jenseits eines Schulzwangs sorgt.
Das Kind muss beschult werden? Das Kind muss sich bilden dürfen!
Experte
Kollmann fordert allen Ernstes: „Oberstes Ziel ist, dass die
Schüler wieder so schnell wie möglich in die Schule gehen“. Für
mich – aufgrund einer menschengemäßen Betrachtungsweise – ist
das unmenschlich. Der Mensch wird als krank und sein Umgang mit
seinen eigenen Bedürfnissen als falsch, sogar als ein Fall für den
Psychiater abgestempelt, anstatt auf die menschlich nachvollziehbaren
Gründe und die Bedürfnisse der jungen Menschen richtig einzugehen
und angemessen zu reagieren. Das Problem wird – wie meist in der
technokratisch orientierten weißen Medizin – nicht wirklich
erkannt. Es wird das Symptom (Schulvermeidung) behandelt und nicht
die Ursache (Schule schafft ihre eigenen Aufträge nicht mehr). Nur
das Symptom muss weg - die Ursache dahinter muss unangetastet
bleiben. Trotz der Erkenntnis, dass 40% der von Kollmann
„behandelten“ Fälle von Schulvermeidung wieder bei ihm
vorstellig werden, sieht sich der befragte „Experte“ auf dem
richtigen Weg mit seiner Aussage und Behandlungsmethode.
Staatlicher Schulanwesenheitszwang mit Gewalt? Bildungsfreiheit mit sozialer Verantwortung!
Bevor
Lernen stattfinden kann, braucht es eine stabile Beziehungsebene.
Lernen wird in unserer Gesellschaft als die reine Anhäufung von
Wissen und deren Abrufbarkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt
angesehen. Menschliche Bildung (Werte, Verantwortung, Moral) ist
maximal zweitrangig. Überlegenswert ist, warum wir immer mehr
gewaltbereite, verrohte Kinder und Jugendliche beklagen – die
Folgen sind längst auch in den Schulen zu beobachten. Anstatt auf
der Beziehungsebene den eigentlichen Motiven der Schulverweigerer
nachzuspüren und die Ursachen zu ändern, untermauert der Staat auch
hier seine Schwerpunktsetzung, indem er durch die Ausübung von
staatlicher Gewalt Schulverweigerer in die Schule zurückzwingt.
Diese Gewalt ist gesetzlich „erlaubt“. Man schaue sich nur die
Verwaltungsvollstreckungsvorschriften zur Ausführung und
Durchsetzung der Schulanwesenheitspflicht der einzelnen Schulgesetze
in den Ländern an. Dort wird gesetzlich erlaubt, dass der
Schulvermeider morgens von der Ordnungsbehörde zu Hause abgeholt
wird. Die Ordnungsbehörde kann sich dabei zur Durchsetzung der
Maßnahme des unmittelbaren körperlichen Zwangs der ortsansässigen
Polizeibehörde bedienen.
Wird
der junge Mensch dann ggf. mit körperlichem Zwang zur Schule
gebracht, dann ist und bleibt das Gewalt. Die staatliche Erlaubnis
ändert an der Empfindung des Betroffenen nichts.
Dass
er demgegenüber einen gesetzlich normierten Anspruch auf
„gewaltfreie“ Erziehung hat, hilft dem Jungen Menschen wenig.
Denn diese Norm steht „aus Versehen“ „nur“ im Bürgerlichen
Gesetzbuch (BGB) und hilft ihm daher nur mittelbar bei der Abwehr
staatlicher Gewalt. Im wohlgemeinten Sinne des Kindeswohles wird der
junge Mensch in eine Institution gezwängt, die ihm nicht gut tut.
Einfach gefragt: Was ist dann in solchen Fällen die
Kindeswohlgefährdung? Schulabstinenz oder Schulbesuch? Das Motto
scheint erneut zu sein: Was nicht sein darf, das kann auch nicht
sein.
Der Schulverweigerer ist krank? Die Sicht auf den Menschen ist krank!
Wie
krank ist die Sicht auf unsere Kinder? Wer legt fest, wie ein Kind zu
funktionieren hat? Wenn ein Kind nicht so funktioniert, wie es
staatlich vorgegebene Normen fordern, wird es behandelt, notfalls
wird eine Krankheit geboren, die der Abweichung (der Individualität)
einen Namen gibt: „Schulvermeidung“ gilt tatsächlich schon als
Fachbegriff für eine psychische Symptomatik! Durch diesen Begriff
wird stigmatisiert, es werden mehr Probleme für alle Beteiligten
geschaffen und der pharmazeutischen Industrie wird die Möglichkeit
gegeben, die psychische Erkrankung mit Tabletten zu „behandeln“
(als Stichworte sollen hier dem gebildeten Leser nur ADHS und Ritalin
genügen).
Schulverweigerer zeigen krankhaftes Verhalten? Sie zeigen Missstände unserer Schulen auf!
Schule
kann also Angst machen. Schule kann ein Ort sein, der krank macht,
weil die menschliche, individuelle, emotionale Komponente nicht
gesehen wird und frei sich bilden nicht möglich ist. Der natürliche
Lerntrieb der jungen Menschen wird mehr behindert als gefördert.
Schule ist ein Ort, in welchem den jungen Menschen statt wirklichem
Entdecken und Erfahren und Sich-Auseinandersetzen und Begreifen
sogenanntes Bulimie-Lernen antrainiert wird (Bulimie-Lernen = Stoff
für die Klausur lernen, danach aufs Papier brechen und möglichst
schnell alles wieder vergessen). Schule kann als ein Ort wahrgenommen
werden, an dem staatlich legitimiert Kindeswohlgefährdung
organisiert wird. Dass Schule Angst machen kann, dass Schule krank
machen kann, wird und darf wohl nicht gesehen werden. Frei nach dem –
oben bereits genannten – Motto: Was nicht sein darf, das kann auch
nicht sein.
Wer heilt hat Recht!
Versuchen
wir uns an die ärztliche Kunst zu halten. Dies bedeutet, dem
Problem-Erkennen folgt die Benennung der Symptome, daraus ergibt sich
die Diagnose und hieraus eine Behandlung und im besten Fall die
Heilung.
Der
„Experte“ Knollmann geht wie folgt vor:
Problem
erkennen: Schulschwänzer
Symptome:
Schulverweigerung
Diagnose:
Schulvermeider
Behandlung:
Zwang zum Besuch der Schule (des Problems)
Heilung
/ Ziel: Schüler geht zur Schule, Aufrechterhalten des Systems, der
Wille des jungen Menschen und sein Wohlbefinden bleiben
unberücksichtigt.
Was ist von folgendem grundlegend anderen Ansatz zu halten?
Problem
erkennen: Schulschwänzer
Symptome:
eindeutige klare Artikulation des Willens nicht zur Schule zu müssen
(die Artikulation des Willens findet auch durch die Entwicklung
pathologischer Symptome (Bauchschmerzen, Übelkeit) statt und muss
von den Eltern / Lehrern nur richtig gedeutet werden)
Diagnose:
Schule macht krank
Behandlung:
frei sich bilden im, am und für das Leben außerhalb der Schule
Heilung/
Ziel: mündiger, selbstbewusster, gebildeter, eigenverantwortlicher,
sozial integrierter Mensch
Heilung wird in diesem Fall möglich, da der Wille und das Wohlbefinden des jungen Menschen in den Mittelpunkt und damit an die richtige Stelle gerückt wird.
Heilung wird in diesem Fall möglich, da der Wille und das Wohlbefinden des jungen Menschen in den Mittelpunkt und damit an die richtige Stelle gerückt wird.
Das
System des bestehenden Schulanwesenheitszwangs erlaubt keine
Abweichung zum positiven und erlaubt daher auch keine
Einzelfallgerechtigkeit.
Die eigentliche Aufgabe der Eltern, nämlich ihren Kindern zur Seite zu stehen und sie bei einer freien und weitreichenden Bildung zu unterstützen, wird staatlicherseits torpediert, erschwert, wenn nicht gar gänzlich vereitelt und dies sogar staatlich organisiert und legitimiert notfalls mit Gewalt.
Die eigentliche Aufgabe der Eltern, nämlich ihren Kindern zur Seite zu stehen und sie bei einer freien und weitreichenden Bildung zu unterstützen, wird staatlicherseits torpediert, erschwert, wenn nicht gar gänzlich vereitelt und dies sogar staatlich organisiert und legitimiert notfalls mit Gewalt.
Die
Einzelfallgerechtigkeit wird nicht nur für die ohnehin gebildeten
und damit privilegierten Menschen, die die Entscheidung für eine
freie Bildung aus sehr gereifter Sichtweise treffen, verhindert,
sondern auch für alle diejenigen jungen Menschen, die aus
bildungsfernen Haushalten kommen. Kürzlich legte eine Studie aus
München offen: „Wer arm ist, bleibt dumm!“ Der staatlich
organisierte Schulanwesenheitszwang schafft es gerade nicht, sein
eigenes Ziel zu verwirklichen: Gleiche Bildung für alle und damit
Chancengleichheit für alle.
Ihre
Überschrift „Angst macht Schule“ scheint somit am Ende doch
goldrichtig gewesen zu sein, einzig der Artikel dazu ist unpassend.
Wenn wir die Ausführungen meines Schreibens endlich ehrlich
annehmen, wird uns die Durchführung, das Ergebnis und die starre
Einhaltung von Schule mehr als jetzt schon zu beobachten auch in
Zukunft Angst bereiten.
Ein
Artikel mit dem Thema „Schule macht Angst“ würde nicht nur die
Gegenseite beleuchten, sondern endlich auch zu einem breiten Diskurs
über unser Schulsystem und seine Folgen anregen. Gerne bin ich
jederzeit bereitet, diesen mit Ihnen zu veröffentlichen.
Falls
Sie noch Fragen haben stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Mit den besten Wünschen
_________________
Jost v. Wistinghausen
Rechtsanwalt
Im Titel des Originalartikels ist vermutlich nur ein orthographischer Fehler. Ganz wie das Motto der Bundeswehr: Wir. Dienen. Deutschland. sollte es wohl heißen: Angst. Macht. Schule. Womit ich dem Autoren, jedoch der Redaktion weißes Kalkül unterstellen mag. A.P.
AntwortenLöschenSo wahr, die Schulangst begleitet uns seit 5 Jahren Junior ist jetzt Klasse 6 ,er ist seit März 20 krank geschrieben . Ging in der Grundschule los mit weinen,Bauchschmerzen erbrechen jeden Tag, weinen und nicht hin vollen. War noch händelbar ,da kleine Schule mit super Lehrerin. Jetzt seit Sommer 19 IGS grosse Schule 1300 Schüler ein Alptraum ,er war vor Corona 7Monate völlig fertig täglicher kampf . Dann kam der 1 Lookdown.Seitdem lernt er Zuhause nach seinen Bedürfnissen. Leider hat die Schule nun das Famillien Gericht ins Boot geholt Kindeswohlgefährdung. Werde der Richterin unsere Situation seit Jahren schildern. Hoffe das sie unseren Weg versteht. Für uns kommt nur noch einen freie kleine Schule nach Montessori in Frage und bis die gefunden ist bleibt mein Sohn daheim.
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